Der BHB-Praxistag Home Improvement: "Das Barcamp ist Do-it-yourself"

Am 6. und 7. Juni 2018 trifft sich die Do-it-yourself-Branche zum 2. BHB-Praxistag Home Improvement. Prof. Dr. Kai-Uwe Hellmann (Bild oben) ist Mitorganisator des überaus erfolgreichen 1. BHB-Praxistages im Juni 2017 und erfahrener Ausrichter von Barcamps, die er seit Jahren mit seiner Agentur Feldmann & Hellmann Barcamp-Organisation durchführt. Im Interview mit dem BHB spricht der Soziologe über die Besonderheiten der Veranstaltung, warum diese mit seinem dynamischen und offenen Charakter neue Wege geht und gerade mittelständische Unternehmen dort ihre Zelte aufschlagen sollten.

BHB: Kai-Uwe, für viele ist das Veranstaltungsformat Barcamp gänzlich unbekannt. Was ist überhaupt ein Barcamp? Ist es wirklich so ganz anders als herkömmliche Veranstaltungen und Workshops?

Nur kurz zum Unterschied. Bei herkömmlichen Veranstaltungsformaten liegt die Initiative für Themen und Referenten ganz auf Seiten der Veranstalter, die Teilnehmer haben darauf keinerlei Einfluss mehr. Sie können allenfalls noch entscheiden, welchen Vortrag sie sich anhören möchten. Bei Barcamps verkehrt sich das ins genaue Gegenteil. Hier sind es allein die Teilnehmer, die über die Themen und Referenten entscheiden. Denn sie sind es, die die Themen nicht nur selber vorschlagen und über Annahme oder Nichtannahme entscheiden, sondern sie anschließend auch selber zum Vortrag bringen, ohne größere Vorbereitungen und lang andauernde Powerpoint-Präsentationen ohne jede Diskussionschance, oft spontan, aus dem Augenblick geboren und auf den unmittelbaren Problemdruck gerichtet. Und vor allem so, dass sich daraus überaus schnell eine gemeinsame Diskussion zwischen den Teilnehmern der Sessions ergibt. Diskutiert wird ja über das, was jeden auch persönlich bewegt. Außerdem können die Teilnehmer sehr frei darüber entscheiden, welche Session sie besuchen und für wie lange. Das Gesetz der zwei Füße aus der Open-Space-Welt gilt nämlich auch für Barcamps.

BHB: Was macht für Dich die besondere Faszination dieses Veranstaltungsformats aus?

Den besonderen Reiz von Barcamps sehe ich darin, daß die Teilnehmer ans Ruder gelassen werden und den Kurs der Veranstaltungsfahrt selber bestimmen können. Es ist ganz ihrer Initiative, aber auch ihrer Verantwortung überlassen, wie sich ein Barcamp entwickelt, worüber gesprochen wird und mit wem. Für viele ist das beim ersten Mal verständlicherweise noch sehr ungewohnt, am Ende oft aber eine enorme Bereicherung, diese überaus intensive, direkte Begegnung miteinander, die Freiheit von Themenwahl und Diskussionsgestaltung. Es ist im Grunde eine Befreiung von bestimmten Konventionen und Ritualen, die wir alle nur zu gut kennen und die für viele inzwischen etwas Ermüdendes bekommen haben. Und es ist daher ungemein erfrischend, wenn man wieder selber Hand anlegen darf, sozusagen vom Gast zum Koch wird und Menüwahl, Menüzubereitung und Menüverzehr selber bestimmen und genießen kann.

BHB: Warum ist Deiner Meinung nach der Austausch in Form eines Barcamps auch für die Home Improvement Branche interessant und wichtig? Was ist das Ziel der Veranstaltung?

Barcamps sind durchweg eine Bereicherung und Ergänzung der üblichen Formen kollektiver Begegnung, das erleben wir immer wieder. Bezogen auf die Home-Improvement-Branche könnte ich augenzwinkernd antworten: Keine Branche ist besser geeignet, eine Do-it-yourself-Veranstaltung, wie Barcamps sie par exzellent darstellen, durchzuführen als eben die Do-it-yourself-Branche! Aber Spaß beiseite: Ich unterstelle mal, dass auch in Eurer Branche eine Vielzahl vertrauter Problemlagen auf höchst vertraute Art und Weise erörtert werden, dass es gewisse Gewohnheiten, Hierarchien gibt, die bis in die Unternehmenskultur hinein wirken, wie man miteinander spricht und umgeht, oder auch nur wer mit wem spricht und so weiter. Dabei kommt so manches zur Sprache und so manches auch wieder nicht, ohne gleich von Tabus reden zu wollen. Aber es gibt zahlreiche Routinen, auf die man sich Tag für Tag verlässt. Das hat Vorteile, keine Frage, birgt aber auch gewisse Risiken.
Barcamps sind nun eine Chance, solche Routinen zeitweilig zu durchbrechen, die übliche Hierarchie der Themensetzung von oben nach unten mal in ihr Gegenteil zu verkehren, sich auch mal über liegengelassene, vernachlässigte, verdrückte Themen auszutauschen oder einfach nur mit einem neuen Blick die gängige Agenda anzuschauen, Scheuklappen abzunehmen und der Neugier freien Lauf zu lassen. Dies kann strategische Fragen, aber auch rein operative Abläufe betreffen, oder die bisherige Mitarbeiterrekrutierung, -fortbildung und -führung zum Gegenstand haben, den Einkauf oder den Vertrieb, die Lagerhaltung oder das Controlling in ihren gesamten Wechselwirkungen. Natürlich darf man sich von einem einzigen Barcamp nicht zu viel erwarten. Aber es ist eine reelle Chance, das Unterste zu Oberst zu kehren und einen unverstellten Blick auf das immer Gleiche zu werfen, sich miteinander neu, persönlicher, direkter, ehrlicher zu erleben. In der Regel wird das nach einem Barcamp immer sehr begrüßt, von nahezu allen Teilnehmern, erfordert aber auch einen gewissen Mut und Neugier aufeinander, ja Aufgeschlossenheit füreinander.

BHB: Für wen ist die Teilnahme an einem solchen Veranstaltungsformat interessant? Und wen möchten Ihr gerne noch als Teilnehmer erreichen?

Nur kurz: für jedermann! Ob Geschäftsführung oder Putzkolonne, im Grunde geht es darum, sich als ein Gesamtorganismus zu erfahren. Barcamps durchstoßen Grenzen und überschreiten zeitweilig Zuständigkeiten, um sich auf einer Art Metaebene neu zu begegnen. Je nach Ausrichtung, man kann Barcamps ja abteilungs- oder standortbezogen durchführen, geht es immer wieder darum, möglichst viele zusammenzutrommeln und zur Teilnahme zu bewegen, damit eine möglichst hohe Diversität und Varietät der Teilnehmer und Themen zustandekommt: Das ist schlicht die Philosophie von Barcamps. Dabei soll nicht unterschlagen werden, daß die Teilnehmer, gerade beim ersten Mal, ein wenig auf dieses häufig noch als sehr unkonventionell wahrgenommene Event vorbereitet werden, daß sie dazu ermuntert und ermutigt werden aktiv teilzunehmen, daß man die Skeptischen ebenso abholt wie die Neugierigen. Die Scheu sollte diplomatisch-sanft abgebaut werden, damit dann am Barcamptag selber möglichst viele ihre Anliegen beim Sessionpitch auch spontan vorschlagen und vom Plenum positive Anerkennung und Zustimmung bei der Auswahl erhalten. Wichtig ist, Vertrauen aufzubauen, in das Format wie unter den Teilnehmern.

BHB: Ist eine Teilnahme auch aus Sicht eines Unternehmers interessant?

Absolut, denn er erlebt sein Unternehmen, das heißt seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, oft auf eine ganz neue Art und Weise, gerade jene, mit denen er selten bis gar nicht in Kontakt kommt, sei es weil die Firma zu groß ist, sie zu viele Standorte hat oder in manchen Bereichen überaus spezialisiert ist.

BHB: Wie sieht denn der konkrete Ablauf eines Barcamps aus?

Der konkrete Ablauf dieses Barcamps ist wie folgt: Am Donnerstagabend gibt es eine kurze Einführung in das Barcamp-Format. Anschließend stellen sich sämtliche Teilnehmer kurz selber vor, mit Vorname, Position sowie drei Schlagworten, sogenannten „Hashtags“, zur eigenen Person, wobei hier ebenso berufliche wie private Interessen Erwähnung finden können, etwa die Familie oder Hobbies. Jeder hat zehn Sekunden dafür. Anschließend gibt es noch die Gelegenheit für Fragen und Diskussion. Am Freitagmorgen starten wir dann direkt mit dem Sessionpitch, also der Vorschlagsrunde. Das bedeutet, daß ich die Teilnehmer dazu bringen werde, zu mir nach vorne zu treten und ihr Thema, das ihnen schon länger unter den Nägeln brennt oder meinethalben auch erst über Nacht oder gerade eben in den Sinn gekommen ist, dem Plenum in 30 Sekunden vorzustellen. Danach frage ich ins Plenum, ob der Vorschlag Zustimmung erfährt, und wenn dies der Fall ist, schreibt der Teilnehmer seinen Themenvorschlag auf ein Blatt Papier und heftet dieses ans Sessionboard, mit Unterstützung von Frank, der diese Aktion koordiniert. Nachdem alle Vorschläge vorgetragen und entschieden wurden, geht es direkt in die Sessions. Diese dauern in der Regel 45 Minuten, und nach 60 Minuten beginnen die neuen Sessions in den jeweils dafür vorbereiteten Räumen. Das Ganze währt so lange, bis alle Sessions durchlaufen wurden. Danach gibt es eine kurze Feedbackrunde mit allen Teilnehmern, damit ist das Ende des Barcamps erreicht. Zwischendurch gibt es natürlich noch Zeit für Pausen und das Mittagsessen.

BHB: Die Teilnehmer müssen sich also nicht im Vorfeld minutiös vorbereiten, um von einer Teilnahme zu profitieren und den Inhalten folgen zu können?

Keinesfalls! Vielmehr sind die besten Barcamps oft solche, bei denen viele der Themen ganz spontan vorgetragen und diskutiert werden, ohne große Vorbereitung, oft ganz ohne Technik, sondern mit einem Impulsstatement startend, um dann gleich in die Diskussion überzugehen. Und nicht selten sind die kleineren Sessions die besseren.

BHB: Kann es Deiner Meinung nach denn gutgehen, so ganz ohne festgelegte Themen- und Ablaufplanung im Voraus? Und was machen wir, wenn keine interessanten Session-Vorschläge kommen?

Mein Partner Frank Feldmann und ich organisieren Barcamps ja seit den Anfängen, von 2007 bis heute. Wir zumindest haben damit durchweg gute Erfahrungen gemacht, bei ganz unterschiedlichen Teilnehmergruppen, so deren Rückmeldungen. Und die Sorge, dass keinerlei interessante Themenvorschläge kommen werden, kann ich mit Bestimmtheit ausräumen. Oft, wenn das Eis erst einmal gebrochen ist, während eines laufenden Sessionpitchs, trauen sich mehr und mehr Teilnehmer, ihre Anliegen plötzlich doch noch vorstellen zu wollen. Und spätestens bei den Sessions sind dann ja alle Teilnehmer eingeladen, die laufende Session so ergiebig und gehaltvoll wie möglich mit zu gestalten. Da ist dann jeder gefordert.

BHB: Was schätzen Deiner Meinung nach die Teilnehmer an Barcamps besonders? Welches Feedback hast Du zu deinen bisherigen Veranstaltungen erhalten?

Meistens sind die Teilnehmer einfach nur dankbar dafür, daß sie das erste Mal die Erfahrung machen durften, eine solche Veranstaltung in diesem Umfang selber gestalten zu dürfen. Oft auch wird begrüßt, wie intensiv der Austausch in den Sessions und über den gesamten Barcamptag hinweg abgelaufen ist und man viele neue Kontakte und Erfahrungen gemacht hat, die für die eigenen beruflichen Belange von großem Wert sind. Das ist es, was uns am Ende eines Barcamptages durchweg rückmeldet wird.

 

Das Interview führten Christoph Schley, Leiter Kommunikation BHB, und Torsten Gralla, Projektleiter Veranstaltungen BHB

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