Zukunftspanel Communities: Ein Interview mit Marktforscher Dr. Frank Dornach

Communities sind die neuen Informationsquellen: Wer zuhört, wie die Menschen sich über ihre Vorlieben, Hobbies und Home-Improvement-Projekte austauschen, bekommt viele Rückschlüsse darüber, wie sich die Vertriebsschienen an die neuen Kundenwünsche anpassen müssen. Sie sind moderierte, geschlossene, webbasierte Plattformen, die mit einem Mix aus qualitativen und quantitativen Forschungsmodulen bestückt werden können. Communities ermöglichen einen interaktiven Austausch mit Kunden und Zielgruppen in einem geschützten Raum, kurzfristig zu einem Thema oder über einen längeren Zeitraum zu verschiedenen Fragestellungen. Das fokussiert auf die Generierung von Insights (Häufigkeiten und Argumentationsmuster). Für die DIY-Studie wurden 77 aktive Teilnehmer aus Deutschland (in der Mehrzahl), Österreich und der Schweiz, die in einem Preescreen- und Recruiting-Verfahren ausgewählt wurden, über fünf Tage befragt und miteinander in Diskussionen gebracht.
Dr. Frank Dornach ist Geschäftsführer der ServiceBarometer AG und kennt die Strukturen und Feedback-Möglichkeiten von Communities aus zahlreichen Studien.

BHB: Herr Dr. Dornach - wie beurteilen Sie den Nutzen des Schwarmwissens - bzw. was hebt Communities von klassischer Marktforschung ab?
Als Marktforscher leben wir vom Dialog mit den ausgewählten Befragten, um neue Zusammenhänge zu erschließen. Wir werden darin ausgebildet, diesen Dialog zielorientiert und meist unter Vermeidung äußerer Einflüsse, also in einem kontrollierbaren Umfeld, zu führen. Durch die zahlreichen Aufforderungen an die Befragten, an den vielfältigsten Studien teilzunehmen, werden sie immer trainierter in der Beantwortung. Die x-te Zufriedenheitsbefragung bei denselben Befragten führt dazu, dass der Kunde sich sein Urteil schon bei der Kontaktaufnahme bildet oder in seinem Urteil abstumpft. Damit können wir keine neuen verlässliche Erkenntnisse aufdecken, von deren Aussagekraft wir als Branche ja leben.

Hinzu kommt, dass die Verbraucher heute viel mehr als früher technisch z. B. über Foren oder soziale Medien die Möglichkeit haben und nutzen, sich mit fremden Personen auszutauschen und dabei Spaß darin finden. Die gesunkene Hemmschwelle wird deutlich, wenn wir im Kundenmonitor Deutschland erkennen, dass ständig wachsende 17% in sozialen Medien aktiv eigene Beiträge verfassen und 20% auf Beiträge anderer reagieren. Weitere 44% lesen bislang die Beiträge anderer.
  
Es liegt daher nahe, die für eine Forschungsaufgabe ausgewählten Mitglieder – ich spreche bewusst nicht mehr von Befragten – in einen Dialog untereinander zu bringen, den wir nur noch professionell moderieren. Das war früher auch schon über typische Gruppendiskussionen mit je circa 10 Personen möglich. Die Entwicklungen am Markt für Online-Diskussionsforen kombiniert nun aber die Vorteile dieser gruppendynamischen Methode mit der Erkenntnispower bei möglichen Teilnehmerzahlen von 50, 100 oder noch mehr. Gleichzeitig sind auch schon erste quantitative Abschätzungen von Erkenntnissen über individuellen Tagesaufgaben möglich. 

In Verbindung mit einem hohen Spaßfaktor bei der Beantwortung durch vielfältig entwickelte graphische Tools wird daraus ein Austausch, der auch von WhatsApp, Facebook, Instagram etc. geprägten heutigen Kommunikation der Verbraucher mehr entspricht. Wie Unternehmen auch, werden wir als Dienstleister diese Kommunikation des Verbraucherschwarms immer wieder neu entdecken und anpassen müssen. Nur so können wir sein Wissen heben. 

BHB: Und wie lässt sich daraus eine nutzbringende Online-Diskussion aufbauen?
 Verbraucher sind schon immer an ernsthaftem Austausch mit Unternehmen oder zu allgemein gerade spannenden Themen interessiert. In stärkerem Maße als früher sind sie zusätzlich bereit, sich aktiv von Hause aus in ein – auch datenschutzrechtlich – sicheres Dialogumfeld online einzubringen. Daher ist die Gewinnung von Mitgliedern – zumal wir immer auch interessante Incentives einsetzen – aktuell kein Problem. Dabei bilden wir sogar die Bevölkerungsstrukturen passend ab. Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, das Forum z. B. eine Woche für die Bearbeitung von Aufgaben zu öffnen und tageweise eine themengestützte Diskussion zu initiieren. Die Rückmeldungen der Mitglieder sind äusserts positiv.  

BHB:   Welche Rückschlüsse lassen Community-Studien aus anderen Branchen zu?
Am meisten Spaß haben die Mitglieder, wenn sie mit ihren Beiträgen an der Entwicklung von neuen Themen oder Technologien teilhaben können. Spaß fördert Kreativität und Spontanität sowie den Austausch untereinander. Dies ermöglicht uns, an eher versteckte Motive und Argumentationen heranzukommen. Durch offene Kommentare werden zusätzlich Impulse oder Ideen für unsere Auftraggeber generiert. Wenn wir nur Dinge aufdecken, die Unternehmen den Befragten vorher über die Kommunikation beigebracht haben, kommen wenig verwertbare Aspekte für die Zukunftsgestaltung zustande. Daher spezialisieren wir uns auf innovative, noch nicht fest umrissene Themenfelder und da spielen Communities aus meiner Sicht ihre vollen Stärken aus.

BHB:   Ist die DIY-Branche besonders? – Gibt es abweichende Erkenntnisse im Vergl. zu anderen Handelsfeldern?
Die aktuell abgeschlossene Studie „Meine Wünsche für Baumärkte und Gartencenter von morgen“ zeigt, wie hoch beim Heimwerken oder im Garten der erwartete Spaßfaktor ausgeprägt ist. Daher eignet sich die DIY-Branche ausgezeichnet für diese Methodik. Darüber hinaus entstehen über die Tätigkeit meist auch ganz materielle für sie bedeutende Lösungen. Diese haben die Mitglieder vor ihrem inneren Auge, um die untersuchten Touchpoints mit Bedeutung und Leben füllen. Im Laufe des Projekts wurden von 77 Mitgliedern über 2.200 Einzelbeiträge und 149 Fotouploads eingebracht.

BHB:   Lassen sich für unsere Branche bereits klare Handlungsmaximen ableiten?
Um den Rahmen hier nicht zu sprengen konzentriere ich mich auf zwei zentrale Erkenntnisse bei ausschließlich privaten DIY-Kunden: 1. Für neun von zehn Diskutierenden bietet Bauen, Heimwerken bzw. Gärtnern die Möglichkeit, die eigene Individualität auszudrücken. Für acht von zehn ist DIY Leidenschaft. Diese Aspekte gilt es, im Erkennen der Kunden und ihrer eher konstanten Bedarfsfelder z. B. in einer Kundenhistorie zu berücksichtigen. Wünsche nach Selbstverwirklichung und Individualität mit einem Standardangebot für alle zu erfüllen kommt Warenautomaten nahe – gesuchtes Teil ist im Schacht oder nicht – eben Pech gehabt.

2. Zentrale Einkaufsprozesse wie Vorab-Information zu Lösungsansätzen, die Produkteingrenzung bis hin zur Markenauswahl verlagern DIY-Kunden massiv nach Hause und lösen das in steigendem Umfang über das Web. Sie fordern aktiv Anleitungen, Bedarfschecklisten, Einkaufshelfer für ihre vorgesehene Heimwerkeraufgabe bereits beim Erstkontakt, um Zeit für ihr eigentliches „Spaßvorhaben“ zu gewinnen und dessen Erfolg sicherzustellen. Hier kommt dann auch ins Spiel, dass wir aus unserer umfangreichen nationalen Kundenstudie die jährlich steigenden Quoten dazu beobachten können: Aktuell hat bereits jeder dritte Kunde vor seinem letzten Einkauf in der Baumarktfiliale online recherchiert.

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